Margrit Pawloff, Berlin

Träume sind wie Flimmerlichter

Mal schwer, mal federleicht. In den Träumen kann man viel mehr als wirklich, aber es zieht uns auch immer wieder zurück. Man will rennen, aber kommt nicht vorwärts, man will fliegen, aber plumst wie ein nasser Sack auf die Erde. Aber wunderschön ist es, wenn man etwas kann, was man in den Träumen, oder aber sonst nicht kann. Das passiert selten. Und wenn es passiert, ist es ein Glücksgefühl, mit dem man aufwacht.

Ich habe geträumt, wie ich mit meinem Vater durch unseren brandenburgischen Kiefernwald lief und die Nacht über uns hereinbrach.  

Mein Vater führte mich an der Hand, meine kleine Kinderhand in seiner harten, schwieligen, liebevollen Arbeiterhand. Wir liefen, manchmal fand er auch einen Pilz. Die Sonne schickte ihre freundlichste und wohltuendste Wärme. Nur im Hochsommer duftet der Nadelwald so einmalig und so vertrauensvoll. Der Sand rieselte durch die nackten Zehen, ein weißer, feiner Sand.  So einen gibt es nirgends, auch nicht auf Ibiza. Wenn ich über eine Wurzel oder einen Tannenzapfen gestolpert bin und schimpfte sagte Vater: „Na sollten die dir aus dem Weg gehen, wie sollten die das denn können!?“ Ich fand, dann tat es nicht mehr so weh! Wir kamen erst nach unseren Wanderungen bei voller Dunkelheit nach Hause. Der Vollmond erleuchtete unseren Weg. Und Vater sagte: Wie hoch der Himmel auch ist, immer werden wir von ihm beschützt. Der Himmel ist unser Zelt. Ihm können wir vertrauen. Und uns ihm anvertrauen.

Und dann kam ich ins eigene Leben.

Was blieb vom Himmel, der unser Zelt ist?  Lange war ich mit anderem befasst.

Hatte keine Zeit darüber nachzudenken. Ich habe wohl mehr nach unten als nach oben geschaut.

Dann aber kam die Lichtstraße auf dem Schwarzen Meer. Bei Vollmond lernte ich meinen Mann fürs Leben kennen. Wir saßen am Strand des Meeres, bewunderten die Lichtstraße, die der Vollmond aufs Meer wirft. Bis heute nennen wir das Mondstraße. Wir vertrauten uns dem Schicksal an und wurden fürs Leben ein Paar. Ohne Widerruf... Was bedeutet der Himmel im Leben der Menschen? Soviel wie bei uns? Oder noch mehr?

Ich habe schon damals gewusst und gefühlt, die Seele braucht für sich mehr Raum als der Körper. Und vielleicht kam es deshalb dann so: 

Ich war bei den Ägyptern. Sie bestatteten ihre Toten in Tempeln, in Gräbern so groß, wie es zu ihren Lebzeiten keine Häuser und keine Villen gab. Sie schmückten sie mit den wundervollsten Wandmalereinen, Weisheiten für das Leben dort in ihrer Totenwelt, sie gaben ihnen Diener, Tiere, Nahrung, Aromaten und viel Schmuck mit, damit sie in der anderen Welt nichts vermissen. Ihre Welt war nicht eng, ein riesiger Horizont breitete sich über sie aus. In einem der Grabmale sah ich den Sternenhimmel und die Zeichnung, wie die Schlange der Nacht die Sonne verschluckt, über Nacht in sich bewahrt und am nächsten morgen aufs Neue gebiert. Welche Faszination, das Leben entsteht am nächsten Tag nach einem kurzen Durchgang durch den Körper der königlichen Schlange aufs Neue. Ein Zauber!

Und dann kam ich ins Rosenthal nach Bulgarien. Mitten in der Ebene zwischen dem Balkangebirge und dem Mittelgebirge tun sich archäologische Wunder auf! Die Hochkultur der Thraker (4. Jahrhundert v.Chr.) haben hier Spuren hinterlassen, die uns den Atem stocken lassen. Zeitgleich mit den Ägyptern! Die Reiseleiterin unserer Rundreise ist bekannt mit einer Archäologin und sie führt uns an die Stätte der Ausgrabung. Man hat 41 Hügelgräber gefunden und man wird sie, wenn die staatlichen Ausgrabungen schneller sind als die privaten, als die räuberischen, allesamt öffnen. Wir treffen Professor Kitow und sind die ersten Ausländer, die an der Grabungsstätte sein dürfen. Er mit seinem Team hat eine goldene Maske und einen bronzenen Kopf, beide von Weltgeltung, ausgegraben. Die Maske von hier hält überhaupt keinen Vergleich mit Schliemann und Agamemnon stand. Agamemnons Maske wiegt nur 60 gr. Und die hier gefundene Goldene Maske wiegt 700 Gramm, 24 Karat eines Goldes, das hier in der Nähe gefunden wurde. Und was den bronzenen Kopf angeht: Zuerst dachte man, es sei Zeus. Nähere Recherchen haben ergeben: Es ist ein  führender Herrscher von hier. Seine Locken, sein Bart und seine Warze am rechten oberen Backenbereich sind unverkennbar. Man (Prof. Kitow) hat ihn als einen bestimmten Herrscher von hier identifiziert. Und ich? Ich bewundere, dass 10.000 Bulgaren in nur einer Woche ins archäologische Museum Sofia gepilgert sind, um die Goldene Maske zu sehen. Ich betrachte es als ein wirkliches Glück, an einer Grabungsstätte der Vorfahren zu stehen, die den Himmel in den Hügelgräbern verewigen wollten. Sie haben Hügelgräber mit einem weiten Himmel über ihnen  gebaut und die Toten nicht einfach in der Erde verscharrt! Sie haben die Rotunde über den Toten ausgemalt und ihnen eine Botschaft mitgegeben. Wie auch die Ägypter. Die Etrusker, die Nordischen und nun auch die Vorfahren, die auch einem Orpheus und einem Spartakus die Heimat gegeben haben, sie alle huldigten dem weiten Himmel über ihnen, der sie bewahrt und nicht erdrückt. Und damit nicht genug!

Da finden Räuber-Archäologen im Dorf Nebra in Sachsen Anhalt in der Nähe von Halle eine Scheibe aus der Bronzezeit. Sie ist 3.600 Jahr alt.  Forscher verstehen sie als Darstellung des Himmels zu Beginn und zu Ende des Bäuerlichen Jahres. Und wieder geht es um den Himmel. Welche Faszination, welche wirkliche Gebundenheit der Menschen an das Firmament...     

Damit die Seele einen weiteren Raum hat als der Körper.



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